Am Tage, als die Sonne starb...

Sonnenfinsternis – Menschenfinsternis
Geboren – gelebt – tot
Sich selber gehaßt – ohne Not
So ist sie verloschen – keiner hat’s gemerkt
Und wurde zur Fackel – der Kelch war geleert

Die Stimmen die sangen
Die sangen ihr Lied
Du kannst keinen halten
Der einmal zieht...


Am 11. August 1999, dem Tag der totalen Sonnenfinsternis, wachte Melanie B. gegen 8.00 Uhr morgens auf. Das war seit ca. 7 Wochen nicht mehr geschehen und insofern etwas besonderes. Sie stand auf und begann ihr Zimmer aufzuräumen, machte den in der Zwischenzeit stehengebliebenen Abwasch und brachte die achteinhalb Mülltüten Unrat, die sich angesammelt hatten, zum Container. Dann putzte sie die staubblinden Fenster, wischte dreimal gründlich durch und bezog ihr Bett neu. Abschließend plazierte sie ihren guten alten Teddybären in der Bettmitte, zog noch ein paar Falten glatt und verließ ihre Wohnung, um ihren besten Freund zu besuchen.
Auf dem Weg dorthin kaufte sie in einer Weinhandlung eine Flasche 1987er Blaufränkischen, ließ sich an einer Tankstelle anderthalb Liter Super in eine leere Coca Cola-Flasche abfüllen und warf zwei Briefe in den Briefkasten.
Bei ihrem Freund angelangt, schauten sich beide auf dem Balkon die Sonnenfinsternis an, spielten zwei Partien Schach und tranken die Flasche Wein, wobei sie sich über den bevorstehenden Weltuntergang unterhielten. Bei dieser Gelegenheit erwähnte Melanie zum ersten Mal, daß sie glaube, seit der Sommersonnenwende in Kontakt mit Göttern zu stehen. Ihr Freund hielt das für einen ihrer üblichen kuriosen Einfälle und lachte über ihre angeblichen Gespräche mit den Unsterblichen.
Melanie wurde daraufhin sehr schweigsam und rauchte innerhalb einer Stunde über eine halbe Schachtel Zigaretten.
Gegen 18.30 sagte sie dann, sie müsse mal eben auf’s Klo, schloß sich dort ein und zündete sich an...
Am 13. August erhielt ich einen Brief von Melanie, in dem sie schrieb, ich sei der Tod und sie sei jetzt bereit, mich zu empfangen...

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