Wer, wie ich noch sämtliche Etappen auf dem Wege zur allseits gebildeten
sozialistischen Persönlichkeit durchlaufen hat, wird sich erinnern, Wessies
wird man’s erklären müssen: Einmal im Jahr tobte der Wahlkampf
durch die FDJ-Gruppen der Lernkollektive sämtlicher DDR-Bildungseinrichtungen.
Eine mit harten Bandagen, ja sogar fast mit Haken und Ösen, auf jeden Fall
unter Kostümzwang stattfindende Kampagne war angesagt. Jene alljährlichen
Wahlschlachten gipfelten dann in einer FDJ-Leitungswahl genannten Veranstaltung,
deren Atmosphäre jemandem, der dergleichen nie live miterlebt hat, nur
schwer zu vermitteln ist: Die gesamte Klasse war blau, bis zu den Oberhemden!
Insofern bestehen vielleicht gewisse Parallelen zum jedes Jahr am Aschermittwoch
in Passau veranstalteten karnevalistischen CSU-Massenkampftrinken, war doch
die FDJ so etwas wie eine CSU für die gesamte DDR-Jugend. Vergleiche hinken
zwar immer etwas, doch auch FDJ-Vorsitzende waren zumeist alternde, dümmlich
grinsende Randgruppengurus mit Artikulationsschwierigkeiten und der Akzeptanz
eines leergesoffenen Bierbempels. Klar, daß man von derartigen Wesensverwandtschaften
heutzutage ungern hört und Leute, die dahin gehende Gedankengänge
äußern, gerne als ewiggestrige Fundamentalstalinisten verunglimpft.
Aufklärung tut da bitter not!
Aber wie dem auch sei, am Ende aller mit verbissenster Härte geführten
Schlammschlachten zwischen Jungs- und Mädchencliquen, Strebern und Sitzenbleibern,
Heimlichrauchern und Sitzpinklern stand immer die einstimmige Wahl eines FDJ-Leitung
genannten Kompetenzteams, das dann für ein Jahr als verlängerter Arm
des Klassenleiters zu fungieren hatte. Theoretisch! Praktisch hat wohl kaum
eines jener solcherart gewählten Gremien je derart hochgestochenen Erwartungen
genügt. Macht aber auch nichts, selbst die Bundesregierung regiert ja nicht
wirklich, und ist als verlängerter Arm der Wirtschaft auch inkompetent
genug, um von deren Vertretern mehr und mehr für abschaffungswürdig
gehalten zu werden. Oder warum schreien die dauernd nach weniger Staat, außer
wenn es um die Übernahme von Altschulden bankrotter Unternehmen geht? Recht
geschieht jeder Regierung, die sich auf solche Kuhhandel einläßt,
daß sie sich von den Verursachern ihrer Haushaltslöcher dann auch
noch beschimpfen lassen muß, sie wäre ständig pleite! An übergroßer
Kompetenz kann’s nicht gelegen haben.
Übrigens auch nicht, wenn man in eine FDJ-Leitung gewählt wurde. Kompetent
dafür war man eigentlich schon, wenn man etwa eine zahnspangentragende,
picklige Brillenschlange war, der beim Schulsport im Umkleideraum immer der
Turnbeutel versteckt wurde. Da auf mich alles dies zutraf, hatte ich einen sicheren
Listenplatz und wurde folgerichtig sechsmal als Agitator meiner Klasse im Amte
bestätigt. Und als altgedienter Ex-Propagandachef kann ich zu den derzeitig
stattfindenden Wahlkämpfen und der daraus resultierenden staatsbürgerlichen
Kompetenz gerade bei Erstwählern nur sagen: Es ist einfach erschreckend!
Da gibt es beispielsweise leicht konfuse Post-Punk-Raver mit Marken-T-Shirt
und Nasenpiercing, die das Kürzel SPD als „Sozialpädagogische
Polit-Demo“ in’s Hochdeutsche zu übersetzen versuchen und die
deutsche Hauptstadt nach Nordostfrankreich verlegen wollen. Genau die richtige
Wählerschaft für Leute, die Christiansen als Merkel aussprechen und
wahrscheinlich auch klammheimlich gegen den alten Erzfeind zu Felde ziehen wollen.
Oder aber das junge Damenbinden-Model, laut deren Einschätzung ARD-Nachrichtenredaktion,
deutsche Nationalmannschaft und bayrische Staatskanzlei von Kommunisten unterwandert
sind. Es wird demnach also langsam Zeit nach Kuba, Rotchina oder Nordkorea auszuwandern,
wenn man in den Genuß von etwas politischer Meinungsvielfalt kommen will!
Ein trübes Bild, das sich einem da bietet! Da beschäftigt man sich
gerademal anderthalb Jahrzehnte nicht mehr mit Volksaufklärung und Propaganda
und schon sinkt die Partygeneration auf das geistige Niveau einer Ecstasypille
hinab. Monatliche Politschulungsmaßnahmen sowie regelmäßige
Wehrertüchtigungslager und Ernteeinsätze hätten da Wunder gewirkt,
aber mich fragt ja wieder keiner. Dabei hätte ich Jusos, Junge Union und
Pfadfinder so schön auf politische Linie bringen können, daß
spätestens in vier Jahren keine Opposition mehr irgendwelche Regierungsanträge
scheitern lassen würde! So wird es wahrscheinlich bald dazu kommen, daß
die Leute ihren Wahlschein mit der Führerscheinprüfung verwechseln
und alles ankreuzen, was sie für richtig halten. Am Ende haben wir entweder
einen stotternden Dialektsprecher, einen zigarreschmauchenden Dressman oder
einen fallschirmspringenden Antisemiten als Kanzler und eine Opposition, die
Sylvesterraketen ins Podium schießt. Bundesliga und Karneval können
dann getrost abgeschafft werden, aber sagt mir in vierzig Jahren bloß
nicht, ich hätte nicht gewarnt...