Wissenswertes aus 50 Jahren DDR:

Armeegeneral Heinz Keßler und die männliche Libido

In jenen glorreichen Zeiten, als der 1. Mai noch “Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse” und nicht “Tag der Arbeit” hieß, zählte es noch nicht zu den üblichen Gepflogenheiten, den Wehrdienstleistenden wöchentlich Urlaub zu gewähren, um sie so von einer triebgesteuerten Verunreinigung der (damals noch) volkseigenen Bettwäsche abzuhalten. Nichtsdestotrotz wurden aber auch damals bereits ausschließlich geschlechtsreife Männer einberufen, da die DDR entgegen allgemein verbreiteten Vorurteilen doch keine südamerikanische Bananenrepublik und Kinderarbeit demnach gesetzlich verboten war.
Damit aber geriet das sozialistische Verteidigungswesen der DDR in einen antagonistischen Widerspruch mit der männlichen Libido.
Bekanntlich sind geschlechtsreife junge Männer spätestens nach fünfwöchigem ununterbrochenem Kasernendasein weitab von Wein, Weib und Gesang spitz wie Nachbars Lumpi, so daß nach weiteren fünf Wochen Zwangszölibat die Gefahr einer Spontanbekehrung zur Homosexualität (sog. Not-Coming-Out) akut wird. Ein schwerwiegendes wehrpolitisches Problem! Wie sollte man mit einer Truppe warmer Brüder den Klassengegner besiegen?
Spätestens seitdem sich die Panzertruppen Rosa als Waffenfarbe erkoren hatten, war Armeegeneral Heinz Keßler, dem obersten Kriegsherrn des kleineren deutschen Teilstaats, klar, daß energisch eingeschritten werden mußte.
Nun war die DDR ja weltbekannt für ihren leistungsstarken chemisch-industriellen Komplex im Raum Halle-Leipzig-Bitterfeld, in welchem so immense volkswirtschaftliche Werte erwirtschaftet wurden, daß sich die DDR als einziges Land der Welt einen eigenen Silbersee leisten konnte. So erging also an die Kaderschmiede TH Leuna-Merseburg der Forschungskampfauftrag der Entwicklung eines lusthemmenden Zusatzes zum NVA-Standardtee. Und da in der DDR alles schön nach Plan verlief, wurde bereits nach drei Wochen ein Spezi des Jahrgangs 1976 fündig. Dieser, ein Mann namens Olaf Hängen, hatte versucht, durch Mischen von “Sternburger Export”, Weißenfelser Felsbräu” und “Dessauer Pilsener” , etwas trinkbares zu erzeugen, und war nach erfolgtem Selbsttest so impotent, daß sich sein Praktikantinnenharem in Null-Komma-Nichts auflöste.
In einer eilends einberufenen Kommandeurstagung im NVA-Hauptquartier Straußberg bei Berlin wurde Hängen als “Verdienter Eunuch des Volkes” geehrt und die sogenannte “Heinz-Keßler-Direktive” des Nationalen Verteidigungsrates der DDR verabschiedet. Entsprechend diesem Erlaß wurde festgelegt, dem Früh-, Mittags- und Abendtee der NVA-Angehörigen abgestuft nach Dienstzeit die Hängensche Mixtur in 1,5-, 3-, 10- bzw. 25-%iger Lösung zuzusetzen. Im Militärfachhandel setzte sich dann recht bald für das ursprünglich “Mixtura Hängens” genannte Präparat der Trivialname “Hängolin” durch. Unter dieser Bezeichnung erlangte es Weltruhm.
Lange Zeit war es nämlich unklar, wie es in der DDR zu den sprichwörtlichen, alle 18 Monate auftretenden Bevölkerungsexplosionen kommen konnte. Die von zahlreiche Soziologen favorisierte These, daß das bei Ostdeutschen sehr beliebte FKK-Baden Auslöser der für dieses Phänomen notwendigen Begattungsorgien sein könnte, ist mittlerweile widerlegt. In einschlägigen Stasiberichten ist nämlich eindeutig nachzulesen, daß derartige flächendeckende Verstöße gegen die sozialistische Moral nicht stattgefunden haben. Eine Studie der Forschungsgruppe “Poppen” der Gauck-Behörde erbrachte stattdessen 1991 den Nachweis, daß die erwähnten Fruchtbarkeitsschübe auf den staatlich verordneten Hängolin-Mißbrauch innerhalb der bewaffneten Organe der DDR zurückzuführen und als Umkehrreaktion auf die Absetzung des Präparates bei Wiedereintritt ins Zivilleben zu verstehen sind.
Bei dem anschließend einsetzenden zwanghaften Betroffenheitslamento selbsternannter Antidopingexperten fiel natürlich das einzigartig Geniale an der Keßlerinitiative zur Hängolinvergabe an Militärangehörige völlig unter den Tisch: Die NVA bekam die Libido ihrer Soldaten OHNE Bewilligung zusätzlichen Kurzurlaubs in den Griff und konnte auch sowohl die weltpolitisch bedenkliche Einführung der Frauenwehrpflicht als auch die als reaktionär eingestufte Wiederbelebung des Marketenderwesens (Stichwort MBB=Mobile Bordell Betriebe) vermeiden. Das war richtungsweisend, das hatte Weltniveau, wie so vieles, was sich mit den drei Buchstaben D-D-R verbindet, man denke nur an den größten Mikrochip der Welt!
Jenseits von Elbe und Werra war man andere Wege gegangen, welche in letzter Konsequenz in der Herausbildung der Kaste der Vollkasko-Krieger gipfelten. Bekanntester Nachteil: Die Kasernen standen an Wochenenden chronisch leer, so daß man die Bewachung der Objekte privaten Wach- und Schließgesellschaften übertragen mußte, um zu verhindern, daß sich umherstreunende rivalisierende Jugendcliquen der unbeaufsichtigten Pershing II-Raketen bemächtigten: Beim ersten verlorenen Borussia-Dortmund-Heimspiel hätte der 3. Weltkrieg losbrechen können, wenn dann die Borussenfront das Gelsenkirchener Parkstadion bombardiert hätte!
Man denke sich vor diesem Hintergrund nur die diplomatischen Verwicklungen in der Dritten Welt, wenn sich die Bundesrepublik als Hauptsponsor der beliebten Goethe-Institute wegen chronischem nuklearem Fallouts in der Heimat aus der Förderung von Weltuntergangssekten in Südamerika und am mittleren Kongo hätte zurückziehen müssen. Die Weltbevölkerung hätte gigantische Ausmaße angenommen, was zwangsläufig eine verstärkte illegale Einreise nicht erbberechtigter Söhne und Töchter nach Deutschland zur Folge gehabt hätte, die obendrein noch wegen der hohen Strahlenbelastung alle medizinisch rundumversorgt hätten werden müssen: Die Krankenkassen wären noch viel schneller pleite gewesen als so schon!
Das ganze Dilemma offenbarte sich schließlich in seiner ganzen Tragweite, als 1998 mit Joschka Fischer erstmals ein erprobter Pflastersteinwerfer und RAF-Sympathisant an die Abzugshebel der Weltpolitik gelangte und die deutsche Außenpolitik eine seit Joachim vonRibbentrop nicht mehr erreichte Brisanz gewann, mit unmittelbaren Auswirkungen auf den “Bürger in Uniform” .
Sicher haben sich doch einige Zeitsoldaten im Herbst ’99 sehr gewundert, wieso sie zu ihrem Marschbefehl nach Prizren/Kosovo keine Militärrückfahrkarten wie sonst üblich sondern nur einfache Tickets Hin ausgehändigt bekamen. Und daß, wo in in südslawischen Karsthöhlen bekanntlich der berüchtigte serbische Heckenschütze UN-Beauftragten und alleinreisenden Frauen aufzulauern pflegt! Da könnte man ja regelrecht Angst bekommen, erschossen zu werden...
Das ist, auf deutsch gesagt, ganz schön scheiße. Vor allem, wenn man bedenkt, wie schön der ganze Balkankrieg hätte verhindert werden können. Man hätte bloß statt Panzern an die Türkei Hängolin an die jugoslawische Volksarmee liefern müssen und die kriegsauslösenden Massenvergewaltigungen wären unterblieben. Ganz abgesehen von drei gebeutelten ostdeutschen Brauereien, deren Fortbestand so dauerhaft gesichert worden wäre. Auch hier wurden wieder einmal sträflich Chancen des Einigungsprozesses vertan...


Am 1.Mai 1977 beschloß der Nationale Verteidigungsrat der DDR die Übernahme von Hängolin in die Truppenverpflegung der NVA.

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