oder
WARUM SPINNEN FASZINIEREND SIND
(Ein Beitrag zum Evolutionsfaktor Mensch)
Woher, wohin geh’n Deine Wege
Kennst Du die simple Wahrheit noch?
Vermeidest Du die schmale Brücke
Fällst Du in ein tiefes Loch...
Möchtest Du im Kote wühlen
Durchschneide bloß den dünnen Strick
Du fällst von selbst in den Schlamassel
Selten gibt es ein Zurück
Vom Ort, wo Dir Dein Schicksal harrt
Hier gleicht dem Tode fast das Leben
Bist Du erst einmal eingescharrt
Kann es keine Rückkehr geben!
Können Menschen denn ermessen
Was für sie unwägbar ist?
Hast Du wirklich schon vergessen
Wie bald Du selbst vergessen bist?
Vorspiel
Meine Freundin hat einen Freund. Oder hatte beziehungsweise wird haben - so
genau weiß ich das nicht. Ich bin nur der Mann, der jede Nacht auf, unter
oder neben ihr liegt - und ich habe meine eigenen Probleme.
Da wäre zum Beispiel mein Job als Datenbankadministrator eines größeren
Versicherungsunternehmens - zwar gut bezahlt aber TOTAL hirnrissig. Oder finden
Sie es etwa nicht hirnrissig, tagtäglich Tausende von Datensätzen,
jeder ein Stück Menschenschicksal umfassend, einem höchst unzuverlässigen,
ja regelrecht schadenfroh-perversen DATENVERARBEITUNGSSYSTEM anzuvertrauen,
welches damit Russisch-Roulette zu spielen scheint? Doch was geht mich fremdes
Elend an, wäre ich doch nie so schmerzpervers, mir von einem der Klinkenputzer
meiner Firma eine unserer Versicherungspolicen, etwa für mein Leben oder
etwas vergleichbar wertvolles, andrehen zu lassen. Teuer Geld bezahlen für
einen Schutz, der bald darauf als Datensalat durch unseren Server geschreddert
wird? - Nee, danke! Ich jedenfalls stehe schon lange auf Kriegsfuß mit
dem Ding, was für die Kundendaten auch nicht eben von Vorteil ist. Aber
was soll's - nichts geht über das Allmachtsgefühl, das sich einstellt,
wenn man das System wieder mal durch ein VOLLBACKUP ausgetrickst hat. Scheiß
auf die paar Hunderttausend Kunden-Datensätze, die dabei gleich mit im
Nirvana landen...
Wie man so sieht - ich bin ein schwer arbeitender, verantwortungsbewußter
Mensch. Und ein aufgeklärt-toleranter noch dazu! Das sieht man daran, daß
meine Freundin und ich eine OFFENE PARTNERSCHAFT führen. Das ist, wenn
die Freundin des Mannes einen Freund hat, und zwar nicht nur so einen schwulen
„Ich hör' mir mal jetzt geduldig deinen prämenstrualen Frustrations-Blues
an"-Softie, sondern einen, mit dem sie auch noch schläft. Und der
Mann wiederum, nun der hat halt seine gelegentliche Geschlechtspartnerin. Und
idealerweise finden das beide Klasse. Idealerweise!
Denn so eine offene Partnerschaft birgt auch so ihre Tücken: So verbringe
ich in letzter immer mehr Nächte allein, da meine Freundin, anstatt auf,
unter oder neben mir zu liegen, selbiges lieber mit ihrem nicht-schwulen Freund
zu praktizieren scheint. Die gelegentliche Geschlechtspartnerin nervt, daß
sie dieses nicht mehr nur gelegentlich sein will und vor allem nicht nur als
Geschlechtspartnerin, nennt es Vergeistigung der Beziehung und ich - finde das
Scheiße! Ja, ich bin manchmal richtiggehend schwermütig und frage
mich dann, warum ich das alles eigentlich noch mitmache. Könnte ich doch
stattdessen mich auf eine Säule in der Wüste zurückziehen und
über das Leben nachdenken, oder korrupte Politiker mit fauligen Eiern bombardieren
oder in Somalia Neger abknallen. Oder, oder, oder... Gut zu wissen, daß
auch andere Beteiligte an dieser Mesalliance so ihre Problemchen zu haben scheinen.
Vor allem der Freund meiner Freundin, von dem ich glatt behaupten würde,
daß ihm doch ziemlich mißfallt, wenn sie von Zeit zu Zeit bei mir
zu ihrem Pflicht-, Versöhnungs- oder-was-auch-sonst-GV antanzt. Auch bereitet
ihm sein Job als Eintänzer in der Latino-Bar nicht mehr so die Freude,
seitdem sie ihn durch ihre zwanghafte Eifersucht von seinen geliebten One-Night-Stands
abhält. Vor allem aber ist der arme Mensch Besitzer einer schwer verhaltensgestörten
spastischen Katze...
1. Akt: Der Freund meiner Freundin fahrt in den Urlaub
Meine Freundin hat einen Freund und dieser ist Besitzer einer schwer verhaltensgestörten
spastischen Katze. Und er nervt mich, weil er öfter auf, unter oder neben
ihr liegt als ich. Nun hatte dieser Freund die an sich gar nicht einmal so schlechte
Idee, in den Urlaub zu fahren und die noch bessere, dieses Vorhaben alleine
in die Tat umsetzen zu wollen. Allerdings hatte er sich - sollte ich sagen typischerweise
- keinerlei Gedanken gemacht, was nun für die nächsten vier Wochen
mit seiner schwer verhaltensgestörten spastischen Katze geschehen sollte.
Das Tierheim war voll oder zu und von den Nachbarn und Freunden war keiner zur
Raubtierfütterung bereit - schon das hätte gewiefte Zeitgenossen äußerst
hellhörig werden lassen - kurz er verfiel halt auf die perverse Idee, meine
Freundin zu fragen, ob sie das Tier für die paar Wochen in Pflege nehmen
könne, die sagte ja und ich hatte den Salat. Berichten zufolge, welche
mich gerüchteweise erreichten, ist die schwer verhaltensgestörte spastische
Katze des Freundes meiner Freundin ein wahres Monster: Einen Namen hat das Tier
nicht, was auch nicht weiter stört, da es auf einen solchen ohnehin nicht
hören würde. Es sei denn, er würde wie das Öffnen einer
Dose Katzenfutter klingen oder besser noch wie das Zerlegen eines Brathähnchens.
Sie sieht in etwa aus wie ein ausgehungerter Garfield und wird als sehr eigensinnig
und kratzbürstig beschrieben.
Richtig unheimlich wird es jedoch, wenn die Katze den Versuch unternimmt, sich
fortzubewegen: Mit unnatürlich zum Buckel verkrümmten Rücken,
immer in Gefahr sich in seinen eigenen Extremitäten zu verheddern, stelzt
das Tier ruckartig voran und erweckt so den Eindruck, fortwährend einen
imaginären Quälgeist aus seinem Pelz schütteln zu wollen. Gleichwohl
bleibt dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt und die Katze weiterhin spastisch...
Leider trifft mich an den nun folgenden schicksalhaften Vorgängen eine
nicht unerhebliche Mitschuld, da ich es unterließ, dem Ansinnen des Freundes
meiner Freundin, seine schwer erziehbare spastische Katze zu beherbergen, nicht
entschiedeneren Widerstand entgegengesetzt habe. Ja, ich muß gestehen,
daß mir diese Zumutung, die es ja war, sogar herzlich egal war, hatte
mir doch meine gelegentliche Geschlechtspartnerin kürzlich eröffnet;
daß sie demnächst ein Kind von mir erwarten würde. Wahrscheinlich
dachte ich, schlimmer könne es wohl nun nicht mehr kommen. Es kam schlimmer...
Wie in solchen Fällen üblich, begann das Drama absolut harmlos: Ich
komme gegen 21.00 Uhr nicht abgespannter als normal von Arbeit heim und bin
sogar vergleichsweise gut gelaunt. Das versehentliche Löschen von etwa
hundert Lebensversicherungspolicen hat bei mir immer ein ziemliches Stimmungshoch
zur Folge, der Chef hatte zudem noch einen auf seine bevorstehende Scheidung
ausgegeben (17 Jahre alten Glenmorangie, seine Alte muß schrecklich gewesen
sein!) und meine Freundin war ausnahmsweise NICHT kratzbürstig gestimmt,
als ich leicht angetütert einschwebte - so stelle ich mir einen erfolgreichen
Arbeitstag vor! Ich begrüße also meine Freundin das erste Mal seit
Monaten mit Wangenkuß, sie beißt mich als Erwiderung überraschenderweise
ins Ohrläppchen und sogar die bereits anwesende schwer verhaltensgestörte
Katze scheint mitzuspielen, d.h. sie schläft seelenruhig zusammengerollt
auf meinem Lieblingspullover - wenn das nicht der verheißungsvolle Auftakt
zu einer sehr entspannten Unterhaltung werden kann!
Erwartungsfroh nehme ich auf dem Sofa Platz - und wirklich, es entwickelt sich
so ein richtig feines Gespräch, fast wie unter Verliebten. So über
Sachen von früher, als noch keine Besitzer abartiger Katzen und gelegentliche
Geschlechtspartnerinnen zwischen meiner Freundin und mir standen. Wie damals,
als unsere Beziehung noch eine x-beliebige, stinknormale Liebelei und keine
OFFENE PARTNERSCHAFT war. Als sie noch Frisöse, Zahntechnikerin oder Chemielaborantin
und nicht Malerin werden wollte. Als ich noch davon träumte, Landwirt oder
Krankenpfleger zu werden, anstatt mein Brot bei einem schwachsinnigen Job im
Rechenzentrum zu verdienen und aus Frust darüber langweilige Gedichte zu
schreiben. Wir unterhalten uns über alles mögliche, was uns gerade
einfällt: Über ihre tollen Ölgemälde (fin- det sie), meine
schlechten Gedichte (wie ich mittlerweile weiß), über Lebensoptimismus
(sie), Lebenspessimismus (ich), sowie darüber, daß offene Partnerschaften
wohl doch nicht so ganz das» Gelbe vom Ei sind - da wird die Katze wach...
Auch das ist erstmal keine Katastrophe, denn vorerst gelüstet es sie nach
Liebkosungen meiner Freundin. Das kann ich gerade noch so ab, obwohl ich weiß,
daß das Vieh eigentlich ein Kater ist und. mir sein lustvolles Geschnurre
ganz schön auf den Zeiger geht. Außerdem habe ich immer noch die
Hoffnung, daß das vermaledeite Katzenvieh bald wieder einschläft,
doch da habe ich mich geschnitten. Denn urplötzlich erwacht sein Spieltrieb
- und der ist apokalyptisch...
Als erstes muß mein Lieblingspullover dran glauben. Das schafwollene Kunstwerk,
ein Geschenk meiner Mutter, das meiner Erscheinung immer so einen schönen
alternativen Anstrich gab, wurde systematisch in seine Bestandteile d.h. unterschiedlich
lange Wollfäden zerlegt. Das zweite Opfer bin ich, da ich unklugerweise
den Versuch unternehme, die Katze an ihrem Tun zu hindern. Dieser hoffnungslose
Versuch bringt zwar äußerst beeindruckende und schmerzhafte Kratzwunden
ein, dem Pullover nutzen meine Anstrengungen dagegen gar nichts: Das Kleidungsstück
wird irreparabel zerstört.
Als drittes fällt schließlich dem Wüten des abartigen Katzenungetüms
noch die Nachtruhe von meiner Freundin und mir zum Opfer, denn während
mir meine Freundin in der Küche die Wunden säubert und verbindet,
gelangt die Katze in unser Schlafzimmer. Dort hinterläßt sie einen
freundlichen Gruß in Form eines übel riechenden Haufens in unserem
gemeinsamen Bett. Den Konsequenzen ihrer zweifellos ruchlosesten Tat entzieht
sie sich dann durch Flucht. Von einer Verfolgung sehe ich für diesen Abend
ab, da ich befürchte, in meinem Zustand zusätzliche Verheerungen anzurichten.
Im Moment beschäftigt mich sowieso mehr die Frage, wo nun meine Freundin
und ich die Nacht verbringen sollen, da das verunreinigte Bett dafür offenkundig
nicht in Frage kommt. Nach einigem Hin und Her überlasse ich meiner Freundin
letztlich die Badewanne und entscheide mich für den Lesesessel. Nun sitze
ich am Fenster meines Arbeitszimmers, rauche und werfe von Zeit zu Zeit einen
Blumentopf auf spät heimkehrende Nachtschwärmer. Wenn ich einen treffe,
male ich mit den Ölfarben meiner Freundin einen Strich an die Zimmerwand
und kommentiere meinen Erfolg, indem ich Gedichte wie „Überall ist
Wunderland“ von Ringelnatz oder „Die Ballade von der Unzulänglichkeit
menschlichen Strebens“ von Brecht aus dem Gedächtnis vortrage. Später
werde ich noch eine Partie Blitzschach mit mir spielen. Vielleicht gewinne ich
ja gegen mich...
In der Stube tobt unterdessen die schwer verhaltensgestörte spastische
Katze des Freundes meiner Freundin, reißt die Tapete von den Wänden
und entwickelt einen erstaunlichen Einfallsreichtum im Zerstören der von
meiner Freundin gemalten Bilder und meiner selbstverfaßten Gedichte.
2. Akt: Die Katze ergreift Besitz von unserer Wohnung
Meine Freundin hat einen Freund und dieser hatte ein schwerwiegendes Problem.
Er ist nämlich Besitzer einer schwer verhaltensgestörten spastischen
Katze und wollte für vier Wochen verreisen. Da meine Freundin unvernünftigerweise
versprochen hatte, sich während der Zeit um die Katze zu kümmern,
war das Problem mittlerweile ihres und folglich auch meines, denn seit zwei
Wochen haben wir das Tier auf dem Hals.
Unsere Partnerschaft ist seitdem auf dem Tiefpunkt. Sie wirft mir mangelnde
Tierliebe vor, weil ich nach der Katze zuerst mit Hausschuhen, später mit
Bierflaschen und zum Schluß gar
mit Küchenmessern geworfen habe. Ich wiederum unterstelle ihr sexuelle
Perversionen, weil sie sich mit dem Besitzer eines solchen rufschädigenden
Monsters abgeben konnte. Ich hatte nämlich meinen Job im Rechenzentrum
aufgeben müssen, weil sich meine Kollegen laufend über den penetranten
Katzengeruch meiner Kleidung aufregten.
Nachdem noch einige ausgeliehene Bücher sowie eine sehr rare Schallplatte
von der unmöglichen Katze bewässert worden waren, bin ich vor einigen
Tagen endgültig in mein Arbeitszimmer gezogen. Das will ich demnächst
katzensicher umbauen, damit ich endlich einmal wieder ungestört schlafen
kann. Meine Freundin hat sich derweil ins Schlafzimmer zurückgezogen, wo
sie ihre ramponierten Bilder herzurichten versucht. Wer derzeit in unserem gemeinsamen
Bett neben, auf oder unter ihr herumliegt, entzieht sich leider meiner Kenntnis,
da mir der Zutritt wegen meiner angeblichen Mordanschläge auf die Katze
kategorisch untersagt ist. Eine Normalisierung unserer Beziehung macht meine
Freundin von einer förmlichen Entschuldigung meinerseits bei diesem zerstörungswütigen
Ungetüm abhängig. Ein Ansinnen, das ich entschieden zurückweisen
muß! Vorher bestehe ich darauf, daß wenigstens mein Lieblingspullover
instand gesetzt wird. Ich kann mich ja in keiner Hausbesetzer-WG mehr blicken
lassen, ohne als Yuppie beschimpft zu werden!
Was übrigens die Katze selbst betrifft, so hat diese inzwischen den größten
Teil der Wohnung okkupiert, d.h. sie kontrolliert Wohnzimmer und Flur. Wehe
dem Ahnungslosen, der ihr Territorium verletzt! Neutrale Zonen sind Bad und
Küche, die einzigen Orte, wo es noch zu persönlichen Kontakten mit
meiner Freundin kommt, etwa beim Streit um das Duschbad oder darum, wer den
Herd sauber macht...
Meine Lage beginnt also langsam, unerträglich zu werden. Nicht nur, daß
die leidige Katzenaffäre sowohl meine Partnerschaft als auch meine berufliche
Karriere akut gefährdet, auch meine sozialen Kontakte leiden darunter.
Man ahnt gar nicht, wie viel Bosheit in zehn Pfund Katze versteckt sein können!
Seit jeder Gast fauchend- und kratzenderweise begrüßt wird, kommt
nur noch selten Besuch und wenn, dann in dicker Lederummantelung. Die Wohnung
verlasse ich, 'seitdem ich nicht mehr arbeite, ohnehin nur noch, um meine gelegentliche
Geschlechtspartnerin zu besuchen. Aber auch das wird wohl bald unterbleiben.
Mir graut vor den heimtückischen Attacken, denen ich ausgesetzt bin, wenn
ich den von der Katze überwachten Flur betrete und bei denen diese häufig
fieserweise von meiner Freundin unterstützt wird.
Freilich könnte ich das bereits erwähnte Waffenstillstandsangebot
annehmen. Die Katze würde es dann laut Aussage meiner Freundin auch akzeptieren,
von mir ihr Dosenfutter verabreicht zu bekommen. Aber darauf gehe ich keinesfalls
ein - ich habe schließlich meine Prinzipien!
3. Akt: Mein Gegenschlag trifft ins Leere
Der Freund meiner Freundin kommt in drei Tagen aus dem Urlaub zurück, dann
ist die Tortur überstanden! Seine schwer verhaltensgestörte spastische
Katze ist mittlerweile unumschränkte Herrscherin in der Wohnung, mit Ausnahme
meines Arbeitszimmers. Dieses habe ich mit Stromfallen und Stolperdrähten
sehr wirksam gegen unbefugtes Eindringen abgesichert, was fatalerweise zuerst
meine Freundin zu spüren bekam. Die Folge war ein abrupter Abbruch jeglicher
Kommunikation mit mir, da sie es sich einfach nicht ausreden ließ, daß
meine Maßnahmen nicht persönlich gegen sie gerichtet waren. Daß
Frauen immer alles auf sich beziehen müssen, vor allem Dinge, die gar nichts
mit ihnen zu tun haben! Immerhin, meine gelegentliche Geschlechtspartnerin hält
noch zu mir. Wer weiß, wie's mir ginge, wenn sie mich nicht per Seilwinde
durchs Fenster mit Lebensmitteln versorgen würde. Allerdings hab' ich noch
keinen Schimmer, was sein wird, wenn ich ihr sage, daß ich ihr diese Woche
keinen Besuch gestatten werde...
Ich habe in letzter Zeit sämtliche Energie in den Umbau meines Arbeitszimmers
investiert, so daß es mich abends herzlich wenig nach weiblicher Gesellschaft
und vor allem den damit unweigerlich verbundenen Körperkontakten gelüstet.
Dafür bin ich mit meiner Fluchtburg auch bis auf den Durchbruch zur Toilette
fertig. Der muß aber bald stehen, denn der als Behelfsklo dienende Eimer
in der Zimmerecke ist schon ziemlich voll und sondert entsprechend infernalische
Gerüche ab. Aber wenigstens habe ich so meine Ruhe, auch vor Haustieren.
Die einzigen Lebensformen, die man dieser Kategorie zurechnen könnte, sind
eine Art Wolfsspinnen. Doch deren Lebenstätigkeit spielt sich - Gott sei
Dank! - im Wesentlichen im Verborgenen und bei Nacht ab.
Aus mir unerklärlichen Gründen ekeln sich viele Frauen vor Spinnen,
während ich sie ganz faszinierend finde. Ist nicht das Spinnenweibchen,
das das Männchen nach der Begattung verzehrt, ein Sinnbild emanzipierter
Weiblichkeit, völlig unabhängig von sexistischen Männern? Zugegeben,
der Vergleich ist etwas makaber, aber was soll's? Es gibt schließlich
noch ganz andere Sachen, die ich faszinierend finde, und von denen Frauen meinen,
sich davor ekeln zu müssen. Man könnte da Bücher drüber
schreiben, die kein Schwein lesen würde, Talkshows abhalten, bei denen
sogar die Diskutanten einschliefen... Kurz, es ist eine unendliche Geschichte,
wie die Debatte über den § 218, wobei ich nochmals betone: Ich finde
Spinnen einfach faszinierend. Als Stubenfliege wäre ich sicher anderer
Meinung, aber so als Mensch...
Meinen Spinnen geht es übrigens ganz gut. Dank eines überreichlichen
Angebotes an für die Haustierhaltung hundertprozentig ungeeignetem, darüber
hinaus auch noch lästigem, so genanntem Ungeziefer wie Küchenschaben,
Stechmücken, Kleidermotten, Wespen und Stubenfliegen, entwickeln sich die
Achtfüßer prächtig. Ein Exemplar hat zuletzt die beachtliche
Größe einer ausgehungerten Vogelspinne erreicht, so daß ich
ernsthaft ins Grübeln gekommen bin. Das legt bei unvoreingenommener Betrachtung
immerhin die Vermutung nahe, daß jene Riesen-Wolfsspinne Produkt einer
Spontanmutation ist. Mal sehen, wie das Tier auf ausgesuchtes Kraftfutter und
diverse Wachstumshormone anspricht. Ich bin schon sehr gespannt wie die Sache
weiter verläuft. Einen Namen für meinen Zögling habe ich auch:
Kankra II, in Anlehnung an das legendäre Monster aus Tolkiens "Der
Herr der Ringe"...
4. Akt: Mein Leben beginnt sich dramatisch zu ändern
Im Gegensatz zu Katzen oder, schlimmer noch, Hunden sind Spinnen konsequente
Selbstversorger und, was am wichtigsten ist, noch konsequentere Verächter
von Körperkontakten mit uns Menschen. Was mich betrifft, so entsinne ich
mich lediglich eines Falles, bei dem ich Körperkontakt mit einer Spinne
hatte. Und das war so:
Eines Nachts war ein offenbar leicht verwirrtes, auch sonst etwas zurückgebliebenes
Spinnenmännchen auf mein Gesicht gekrabbelt hatte sich in meinem geöffneten
Mund auf die Lauer nach irgendetwas gelegt. Es kann sich bei dieser Spinne nur
um ein Männchen gehandelt haben, jede Statistik spricht dafür: Männer
tun einfach tendenziell öfter Dinge, die ihnen schaden. Männer rauchen
mehr als Frauen. Männer trinken mehr als Frauen. Männer nehmen öfter
psychoaktive Drogen als Frauen. Das starke Geschlecht fährt mehr Autos
zu Schrott als das schwache. Und Männer töten sich gegenseitig öfter
als weibliche Menschenwesen. Dieses jahrtausendealte Gesellschaftsspiel nennt
man Krieg... Doch ich war schon wieder beim Menschen - zurück zur Spinne.
Sie faßte also den eigenwilligen Entschluß, meinen Rachenraum auf
seine Eignung als Versteck zu untersuchen. Da war sie eindeutig im Begriff,
etwas zu tun, was ihr schadete. Die Chance, daß die Untersuchung des Rachenraumes
erfolgreich sein würde, wurde immerhin durch meinen Atemrhythmus akut eingeschränkt...
Um es kurz zu machen, das Ergebnis des Experiments war unbefriedigend, die Folgen
für uns beide unangenehm: Der Spinne muß das noch recht egal gewesen
sein; sie verließ meinen Mund in recht aufgelöstem Zustand. Aber
ich wäre an ihrem Chitinpanzer beinahe erstickt! Leider hatte der Vorfall
darüber hinaus noch ein paar andere tragische Aspekte. Betrachten wir die
Sache zuerst einmal aus der Sicht der Spinne:
Ein unternehmungslustiges Forschertalent macht einen riskanten Ausflug in unbekannte
Gefilde. Im Gegensatz zu vielen anderen Pionieren findet es nicht etwa nichts,
sondern macht eine (für Spinnen) ziemlich bedeutsame Entfahrung. Bedauerlicherweise
wurde diese Erfahrung aber nicht an andere Spinnen weitergegeben, da der Forscher
ein Opfer seiner Neugier wurde. Eine Informationsweitergabe wäre ohnehin
nur mittels Geschlechtsakt möglich gewesen, da sich Spinnen ansonsten aus
dem Weg gehen (Hat vermutlich mit dem oben erörterten radikalfeministischen
Paarungsverhalten der weiblichen Spezimen zu tun.) und folglich auch nicht mit
einander kommunizieren.
Um, in welcher Form auch immer, kommunizieren zu können, hätte der
Spinnenforscher allerdings meinen Mund vollständig verlassen müssen,
was durch mein Bemühen, den Erstik-kungstod zu vermeiden, vereitelt wurde.
Pech für die Spinnen, die sich wohl auch künftig noch an ungeeigneten
Plätzen verstecken werden! Es sei denn, ich hätte die letzte doofe
gekillt. Toller Gedanke - ich als der entscheidende Evolutionsfaktor für
die Spinnenpopulation meines Arbeitszimmers, den Sinn meines Daseins realisierend!
Schließlich sind wir doch bestimmt nicht dafür vorgesehen, Autos
zu Schrott zu fahren oder Pornovideos anzusehen oder Kinder abzutreiben. Nein,
unsere Bestimmung ist, die Evolution dieses Planeten voranzutreiben. Irgendwann
wird dabei die höherentwickelte Lebensform entstehen, die uns Menschen
als Krone der Schöpfung ablöst, ausrottet und zum Schluß unsere
Skelette in Naturkundemuseen ausstellt. Was, wenn dann meine Gebeine neben denen
des Urpferdchens stehen würden? Amüsante Vorstellung. Aber eigentlich
bin ich doch ziemlich sauer auf die olle Spinne. Nicht, daß mir ihr Schicksal
nicht nahe ginge. So zermatscht zu werden, ist bestimmt nicht schön. Aber
daß ich deswegen aus einem phantastischen Traum -dem phantastischsten,
den ich je geträumt hatte! - gerissen wurde, finde ich echt 'n bißchen
Scheiße. Natürlich kann ich mich auch in keinster Weise mehr erinnern,
was ich eigentlich geträumt hatte. Nur, daß es eben phantastisch
war. Oder kommt mir dieser Traum bloß so dermaßen phantastisch vor,
weil es mir so dermaßen unmöglich ist, mich an ihn zu erinnern? Wie
dem auch sei, um solche Blackouts in Zukunft auszuschließen, experimentiere
ich momentan intensiv mit allerhand rauscherzeugenden Substanzen. Seitdem beginnen
meine Spinnen, einen großen Bogen um mich zu machen. Vielleicht liegt
das ja daran, daß gleichzeitig das Zimmer kontinuierlich größer
wird. Meine gelegentliche Geschlechtspartnerin sagte zwar, ich würde mir
das alles nur einbilden. Aber ich weiß doch, was ich sehe: Das Zimmer
wächst - und ich bin dem nicht gewachsen. Die Anstrengung, zum Waschbecken
zu kriechen, wenn ich mich übergeben muß, nimmt jedenfalls immer
mehr Zeit in Anspruch. Das ist doch der Beweis!
Ich weiß auch wirklich nicht, was die Ursache der vielen dramatischen
Veränderungen in meinem Leben ist. Warum zum Beispiel ist meine Freundin
zu dem Freund mit der schwer verhaltensgestörten spastischen Katze gezogen?
Wieso bewerfen mich wildfremde Türkenkinder mit Hundekot, wenn ich in meinem
Lodenmantel in einem Gebüsch am Mariannenplatz stehe? Und weshalb stellte
mich der Polizist, bei dem ich mich deswegen beschwerte, einer Reihe weiß
gekleideter Herren vor, welche mir dauernd meinen, wegen Hundeexkremente zwar
zugegebenermaßen etwas anrüchigen, sonst aber gut erhaltenen Lodenmantel
wegnehmen wollten. Stattdessen sollte ich eine kotzhäßliche, unbequeme,
weiße Jacke mit
viel zu langen Ärmeln anziehen. Geholfen wurde mir dann nur insofern, daß
ich für eine Weile in ein Zimmer mit Gummiwänden einquartiert wurde.
Aber warum mich meine Gastgeber nicht einmal alleine auf Toilette gehen ließen,
verstand ich auch nicht. Das war mir dann doch zu blöde. Ich habe also
mit dem Typen, der die Verrichtung meiner Notdurft so interessant fand, daß
er mir immer dabei zusehen mußte, die Kleider getauscht und bin gegangen.
Zugegeben, es hatte eine heftige Diskussion mit ihm gegeben und er war auch
nicht mit Worten zu überzeugen gewesen, seine Klamotten rauszurücken.
Aber ich mußte da echt weg. Leute, die einen zum Schlafen ans Bett schnallen,
sind doch irre! Daß so was frei rumläuft...
Ja, das ist alles schon sehr komisch und ich weiß wirklich nicht, was
ich davon halten soll. Ich weiß aber, daß ich mir deswegen noch
lange keine schwer verhaltensgestörte spastische Katze zulegen werde. Auf
den Erfolg, den ich damit bei Frauen wie meiner Exfreundin haben kann, verzichte
ich gerne. Stattdessen werde ich meine Spinnen zu Türstehern ausbilden.
Die Behandlung der Tiere mit Hormonpräparaten war äußerst erfolgreich
und speziell Kankra II macht gewaltige Fortschritte. Kürzlich gelang es
ihr schon, eine allzu sorglose Labormaus zu überwältigen.
Beim gegenwärtigen Wachstum wird Kankra II in etwa zwei Wochen die angestrebte
Größe eines stattlichen Bernhardinerhundes erreicht haben. Dann kann
ich die Chemotherapie absetzen und mit ihrer Spezialausbildung beginnen. Dabei
verfolge ich gerade mit Kankra II große Pläne. Sie wird darauf spezialisiert,
Exfreundinnen von der Erde zu vertilgen, die sich mit Besitzern schwer verhaltensgestörter
Katzen abgeben - möglicherweise mit den Katzen und ihren Besitzern als
Zugabe.
Auch bei mir wird sich vieles ändern. Mein Leben wird spannend und interessant
sein: Ich sitze den ganzen Tag an meinem Fenster im Sessel und beobachte, wie
sich die Menschen auf der Hauptverkehrsstraße davor gegenseitig tot- und
ihre Autos zu Schrott fahren. Abends sehe ich mir dann Pornovideos an oder versuche
meine gelegentlichen Geschlechtspartnerinnen am Telefon zu überreden, die
Kinder, die sie von mir bekommen, abzutreiben. Als Spezialist für derartige
Operationen werde ich mich anpreisen. Falls mich dann eines der Mädels
besucht, werden wir Stattdessen "Carmina Burana", "Laibach"
oder Deathmetal hören. Dazu werden wir Portwein trinken, während ich
ihr Texte von Kafka, de Sade oder den Kinsey-Report vorlese. Vielleicht spielen
wir auch Schach oder Steckhalma, wer weiß. Später, wenn sie mit den
Augen zu rollen beginnt oder schlüpfrige Angebote lallt, lasse ich Kankra
II aus dem Verschlag, damit das Tier auch noch etwas von dem Abend hat.
Darüberhinaus will ich mich der Vivisektion hypnotisierter Meerschweinchen,
der Züchtung kälteresistenter Bananen, der Einbürgerung des Kokastrauches
in Europa, sowie der Kreuzung von Gottesanbeterinnen mit Schmetterlingen widmen.
Das wird toll werden...
Epilog
Leider, leider gelangt nicht jede Frucht zur Reife. Mißgunst ist ein böses
Laster, dem schon ganz andere zum Opfer gefallen sind... So ist denn auch mein
groß angelegtes Spinnenzuchtexperiment gescheitert. Irgendein Spitzbube
muß mich angeschwärzt haben, denn eines Morgens drangen ein paar
uniformierte Übeltäter in mein Heim ein und zwangen mich unter Androhung
körperlicher Gewalt, sie hierher zu begleiten. Seitdem sitze ich in einem
geschmacklosen kleinen Zimmer mit vergitterten Fenstern und versuche, meine
Gedanken zu ordnen. Während ich diese Zeilen hier verfasse, bricht mir
buchstäblich das Herz, wenn ich an die erstaunliche Entwicklung von Kankra
II denke. Erfolge, die nun wohl für immer dahin sein werden! Der Chef der
Desperados, die mich verschleppten, gab als Begründung für seiner
Männer Tun an, ich sei eine Gefahr für die Allgemeinheit. Ich sehe
das völlig anders: Leute, die vorsätzlichen Hausfriedensbruch begehen,
sind gemeingefährlich, nicht etwa Expe- rimentalbiologen wie ich. Einverstanden,
die Überreste von Kankras letzter Mahlzeit konnten auf voreingenommene
Geister befremdlich, ja bedrohlich wirken. Aber irgendetwas muß das Tier
doch fressen!
Ein Herr, der sich mir - welch komischer Name! - als "Untersuchungsrichter"
vorstellte und den ich kürzlich sprach, war da auch grundsätzlich
meiner Ansicht. Er sagte weiter, daß ich etwas sehr Bedeutendes vollbracht
hätte, etwas was so noch nie da gewesen wäre - und daß meine
Experimente die jüngst wiederentflammte Debatte um die Wiedereinführung
der Todesstrafe wohl entscheidend beeinflussen würden. Dem Manne ist unbedingt
zuzustimmen -mit Peanuts wie "Lebenslänglich" würde ich
mich nie zufrieden geben!
So kann ich also mit dem beruhigenden Gefühl von der Bühne des Lebens
abtreten, wirklich etwas bewirkt zu haben. Wer kann so etwas in diesen reizarmen
Zeiten schon von sich behaupten? Bloß, daß ich mich in diesem Leben
mit den Besitzern schwer verhaltensgestörter spastischer Katzen, Frauen,
die solchen Typen hinterherlaufen, oder den Katzen selber aussöhnen werde,
daran glaube ich nicht! Man hat schließlich so seine Prinzipien...