Früher klingelte der Postmann zweimal, bevor sich ein Leben dramatisch
änderte. Zumindest war das in Hollywood so, wenn der Postmann nämlich
Jack Nicholson hieß. Anderthalb Stunden später war der der Ehemann
von Jessica Lange gemeuchelt und unsereins froh, keine sexuell unausgelastete
Geschlechtspartnerin, dafür aber einen hinreichend scharfen Wachhund zu
haben, der einem ominöse Briefzusteller vom Leibe hält.
Heutzutage sind derart rustikale Vorkehrungen leider vergebens: Das Unheil kommt
per E-Mail! Beispielsweise in Form einer Kettenmail. Das sind nicht etwa jene
elektronischen Botschaften, welche einem je nach Geschlecht und Interessenlage
Schönheitsoperationen, Lotto- und Investmentschneeballsysteme, Penisverlängerungen
oder Viagrapillen aufschwatzen wollen. Das ist regulärer Spam, welchen
man sich beim Besuch der falschen Webseiten einfängt und dessen Anhänge
man tunlichst nicht öffnen sollte. Ansonsten kann es passieren, dass man
für 13 € die Minute mit den Niederländischen Antillen telefoniert
und nur den einen Vorteil davon hat, dass man die am anderen Ende der Leitung
sitzende Voodoopriesterin NICHT von ihren angeblichen multiplen Orgasmen schwafeln
hört. Zum Glück! Akustischer Kontakt mit der alten Gewitterhexe hätte
mit Sicherheit ein sofortiges Abfaulen des Geschlechtsteils zur Folge gehabt…
Nein, Kettenmails sind viel schlimmer! Spam kommt wenigstens von betrügerischen
Blutsaugern, denen es auch gar nichts ausmacht, welche zu sein. Damit kann ich
leben. Kettenmails kommen aber von guten Freunden, die diese wiederum von anderen
guten Freunden erhalten haben und nun von Dir wollen, dass Du die frohe Botschaft
an Deine guten Freunde weiterleitest. Das ist erstmal nicht so tragisch, solange
es sich nur um Belanglosigkeiten wie Unterschriftenaktionen zugunsten der Freilassung
ebolaverseuchter Pinseläffchen aus hochgesicherten Quarantänestationen
im mittleren Kongobecken handelt. Derartiges erledigt man am besten, indem man
antwortet, der Kettenmailschreiber möge doch bitte künftig beim promiskuitiven
Geschlechtsverkehr auf den Gebrauch von Kondomen verzichten. Das sei ein erheblich
wirkungsvollerer Beitrag zur Dezimierung der Menschheit, vor allem, wenn er
selbiges mit einem Erlebnistrip nach Zentralafrika oder Südostasien verbindet.
Was aber, wenn höhere Mächte ins Spiel kommen? Meine letzte Kettenmail
war nämlich von Buddha, welcher mir ein Mantra zum Geschenk machte, das
– falls ich es rechtzeitig an genügend Leute weiterversende –
mein Leben dramatisch verändern würde…
Gesagt, getan. Alle Personen aus meinem Adressbuch bekamen wie gefordert innerhalb
der nächsten zweiundsiebzig Stunden Post von Herrn Siddharta – und
mein Leben änderte sich tatsächlich rapide…
In Buddhas Mantra stand nämlich ein Satz, dessen Bedeutung ich erst jetzt
voll erfasse: „Sei froh, wenn Du Dinge nicht bekommst, die Du Dir gewünscht
hast.“ Nun, inzwischen bekam ich sogar Sachen, die ich nie wollte!
Zunächst bekam ich erst einmal die mieseste Bronchitis meines Lebens. Halb
so schlimm! Andere Leute kriegen Vogelgrippe oder SARS. So was wäre selbst
für mich ein Grund gewesen, 10 € in die Konsultation eines Facharztes
zu investieren. Lappalien wie einen simplen Infekt der oberen Atemwege erledige
ich hingegen auf Hausmannsart mit Eukalyptusbädern, Pulmotineinreibungen
und Schwitzkuren. Vielleicht gebe ich auch für ein paar Tage das Rauchen
auf. Nach zwei Wochen intensivster Transpiration war ich so weit wieder hergestellt,
dass ich versuchen konnte, meinen Briefkasten zu leeren. Als ich ihn öffnete,
vielen mir zusammen mit einem Wust an Flyern und anderem unverlangt eingesendetem
Werbemüll drei Briefe entgegen. Der erste enthielt eine Bußgeldmahnung
der BVG, der zweite die Inkassoforderung eines dubiosen Internetdienstleisters,
der dritte die Mitteilung meiner Bank, dass mein Konto mit sofortiger Wirkung
gesperrt würde. Ich hätte angeblich meinen Dispokredit um mehrere
Tausend Euro überzogen.
Wie sich herausstellte, hatte Buddha selbst meine Vergangenheit manipuliert.
So waren bereits an mich erfolgte Zahlungen nachträglich rückgängig
gemacht worden, forderte der Onlinedienst die Begleichung von Rechnungen, die
eigentlich seit Wochen bezahlt waren und konnte sich die BVG nicht mehr daran
erinnern, dass sich meine angebliche Schwarzfahrt längst als Missverständnis
herausgestellt hatte. Ich wiederum hatte keinen blassen Schimmer, wann ich eine
nagelneue Einbauküche bestellt, geschweige denn erhalten haben soll!
Hektische Suchaktionen meinerseits ergaben nur das rätselhafte Verschwinden
meines gesamten Briefverkehrs inklusive des fraglichen BVG-Fahrscheins. Selbst
die Festplatte meines Rechners enthielt nicht mal mehr ein Betriebssystem. Ebenso
unauffindbar blieb meine Geldkarte. Offenbar waren diese und meine Plattensammlung
zusammen mit meiner Freundin verschwunden, welche sich kurz nach Beginn meiner
Erkrankung infolge eines an den Haaren herbeigezottelten Streits, düstere
Drohungen verkündend, aus dem Staube gemacht hatte.
Infolgedessen ergaben meine telefonischen Verhandlungen mit den sich heuschreckenartig
vermehrenden Gläubigern außer der Verleumdungsklage eines gestressten
Hotlinemitarbeiters und der Sperrung meines Telefonanschlusses gar nichts. Zähneknirschend
musste ich in Ratenzahlungen einwilligen.
Nachts habe ich mittlerweile Alpträume, die sich alle irgendwie um das
Leerräumen meiner Wohnung drehen und tagsüber scheinen mir die Penner
am ALDI um die Ecke verstohlen zuzuwinkern.
„Schlechtes Karma!“, meinte ein Bekannter zu mir, dem ich meine
Nöte schilderte, bevor ich ihm drei Rippen brach. – Schlechtes Karma!
Karma, hat er gesagt!