23.10.2007: Der Fall Eva Herman (reflektiert) |
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Schön, daß sich Frauen in der öffentlichen
Diskussion zu Wort melden. Gerade zu Themen wie Familienpolitik ist ein
weiblicher Standpunkt im häufig männerdominierten Diskurs sehr
vonnöten. Aber daß Frau Herman sich ausgerechnet zur Sprecherin
der Deutschen Bischofskonferenz berufen fühlt, verwundert bei ihrer
bisherigen, deutlich berufszentrierten Vita doch sehr. Und ihre Ansichten
sind darüber hinaus noch die, man verzeihe das Klischee, einer Blondine.
Einer sehr arischen, wie sich jüngst noch herauszustellen schien -
man beachte den Konjunktiv! Denn was hat Frau Herman denn eigentlich gesagt?
Im "Stern" vom 18.10.2007 fand ich das endlich mal im Wortlaut
zitiert: |
Evchen beim Drahtseilakt... |
"Und wir müssen vor allem
das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen,
das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er
Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das
- alles, was wir an Werten hatten - es war'ne grausame Zeit, das war ein
völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche
Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle - aber es ist damals
eben auch das, was gut war - und das sind Werte, das sind Kinder, das sind
Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft.
Es durfte nichts mehr stehen bleiben..." — Hääh?! Meinte
die Frau, was sie meinte - und: Was meinte sie überhaupt? Schwer vorstellbar,
daß die Erzeugerin des Zitierten das noch schlüssig erklären
könnte, offenbart doch obiges Wortungetüm zunächst mal eines:
Eine erschreckende Unkenntnis deutscher Satzbildungs- und Formulierungsregeln
und ein erstaunlich unsicheres Verhältnis zu Kausalitäten - naja,
als Nachrichtensprecherin muß man halt nur ablesen und Evi war wohl
auch aufgeregt, als sie sagte, was sie sagte. Eine braune Gesinnung finde
ich dagegen aber bestenfalls bei böswilliger Interpretation des zumindest
schwer interpretierbaren... Unterm Strich bleibt dann lediglich, da befindet sich also eine Frau auf dem Kreuzzug, und zwar durchaus auch für Werte, für die zu streiten sich lohnt. Doch wie es mit Kreuzzügen so ist, das eigentliche Anliegen gerät schnell aus dem Blick. Man will eigentlich das Heilige Grab befreien und plündert stattdessen die Hauptstadt des christlichen Verbündeten (so geschehen Anno 1204 mit Konstantinopel). Wenn ich also den Untergang tradierter Familienwerte beklage und dabei TATSÄCHLICH als vermeintliches besseres Vorbild gerade die Familienpolitik der Nazis anführe, begebe ich mich leider, liebe Eva, auf einen derartigen Abweg. Blicken wir doch einmal zurück: Was war denn eine der ersten Amtshandlungen der frisch an die Macht gelangten NSDAP auf familienpolitischem Gebiet? Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, welches die juristische Grundlage für die 1940/41 stattfindende Aktion T4, besser bekannt als Euthanisie, schuf. |
Das erwähnte Nazigesetz |
Im nationalsozialistischen Sinne war nämlich die "Ausmerzung lebensunwerten Lebens", sprich unheilbar Kranker, Behinderter, schließlich auch von so genannten "Asozialen" (das waren häufig einfach schlichtweg Unangepaßte) und Kriminellen durchaus regulärer Bestandteil der Familienpolitik! — Also, bei oberflächlicher Betrachtung: Fünf in Geschichte! Setzen, Schülerin Herman! — Man beachte aber wiederum die Einschränkung! Bringt doch die jetzt stattfindende (Schein-)Diskussion zunächst erst einmal zweierlei ans Licht: Erstens nämlich die Ahnungslosigkeit von Eva Herman und mit ihr - Forsa zufolge - von 25% der Deutschen bezüglich gewisser innenpolitischer Gegebenheiten der Nazidiktatur und zweitens die fürchterliche Tabuisierung der damit, wahrscheinlich willkürlich, in Bezug gebrachten Faschismus-Debatte. Ich wähle übrigens bewußt die Vokabel Faschismus, geht es doch letzten Endes um die zeitgeschichtliche Reflexion einer tiefgreifenden Faschisierung Kontinentaleuropas (lediglich die skandinavischen Staaten blieben davon weitgehend unberührt) zwischen den Weltkriegen, nicht etwa deren deutscher Variante allein. Jenes gesellschaftlichen Bebens zwischen 1922 (Errichtung der faschistischen Diktatur in Italien) und 1939 (Überfall auf Polen) also, dessen Ausläufer bekanntlich bis in die Gegenwart reichen (Balkankriege, politische Entwicklungstrends in der Ex-Sowjetunion, das Erstarken der politischen Rechtsausleger in quasi allen sich selbst so bezeichnenden Demokratien Europas seit ungefähr zwei Dekaden...). | |
Vor diesem Hintergrund wäre es freilich fatal, wenn die sehr nötige
Aufarbeitung dieser Urkatastrophe unserer jüngeren Geschichte sich
allein in Streitereien um die politisch korrekte Wortwahl erschöpfen
würde. Zugegebenermaßen ist es immer einfacher, sich um Formulierungen
statt um Inhalte zu streiten und bei der Gelegenheit dann eine Sau mit
Artikulationsschwierigkeiten à la Herman durch's Dorf zu treiben.
Nebenbei kann man sich dann ja noch klasse vom Dummschwätzer zum
"Gutmenschen" profilieren (nicht wahr, Herr Kerner?). Aber
weiter bringt uns das nicht. Inhaltliche Diskussion und Aufklärung
der Ahnungs- und Ratlosen, Informationspolitik statt Rechthaberei, Meinungsmache
und Propaganda (ich geb's ja zu, derartige Forderungen in einer erklärtermaßen
PROPAGANDISTISCHEN Kolumne zu erheben, ist schon etwas bizarr) - DAS
sollte doch 62 Jahre nach Hitlers Höllenfahrt nun langsam mal wirklich
auf die Tagesordnung kommen! Wenn dafür dann das eine oder andere,
vielleicht sogar liebgewordene, Tabu dran glauben muß, sollte
das eine wirklich pluralistische Gesellschaft auch aushalten können.
Was wäre denn die Alternative? Wenn Eva Herman erst einmal in der
"Nationalzeitung" leitartikelt ("Mutterkreuz-Kolumne"
etwa?), dann hätte sie sich erfolgreich in einer Ecke häuslich
eingerichtet, in die sie ursprünglich vielleicht doch nicht gehört
und in welche dann andere sie gedrängt haben würden (Gott!
Diese Konjunktiv-Eierei ist ja so schrecklich!). Leute, deren Informationsgrad
vermutlich nur marginal über dem von Frau Herman liegt und die
bloß nicht so naiv waren, ihr Halbwissen auch noch öffentlich
zu machen (Was macht eigentlich Herr Kerner ohne seine vielen Spickzettel?).
Nichtsdestotrotz: Hoffen wir mal (wider alle bisher gemachten Erfahrungen)
auf baldige Besserung unseres gesamtgesellschaftlichen Geschichtsbewußtseins
sowie auf künftig wieder launigere Ergüsse auf diesen losen
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