22.11.2008: Ho is going out in Berlin: Die Abstraktion von Bukowski, Blues'n Booze |
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Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt
– verruchter, anarchischer, dekadenter. Ich meine, immerhin nannte
die Band sich „Bukowski Waits for you“. Da erwartet man schon
wenigstens’n besoffenen Pianisten oder’n literarischen Proll
im Unterhemd mit der Bierbüchse in der Hand. Jedenfalls nicht diesen
vergleichsweise gut gekleideten, bemühten Jazz-Vierer mit aufgesetzter
„Casablanca“-Attitude… Der Sänger gab den in die Jahre gekommenen Barfly-Casanova mit angestaubtem Brian Ferry-Flair aber immerhin recht überzeugend - so auf seinem Barhocker ans Mikro gefläzt, Whiskey- und Rotweinflasche in Reichweite, die Kippe zwischen den Zähnen. |
Der Schamane des Blues'n Booze |
Doch schon letzteres wirkte über-authentisch
und aufgesetzt in Anbetracht dessen, dass das andächtig (!) lauschende
Fußvolk zum Qualmen vor die Tür musste. Die Zigarette in der
Hand des Sängers diente nicht mehr der Identifikation mit dem Publikum,
sondern war vielmehr Dekoration der Rolle, die dieser an dem Abend spielte
– und die war die eines Predigers. Der Meister zelebrierte nämlich
eine Messe der Verruchtheit. Einer Verruchtheit aber, die in echt vor der
Tür im Novemberwind zu bibbern hatte… Vergnatzt bestellte ich ein Bier und versuchte, Mordpläne gegen Ulla Schmidt schmiedend, einfach die Musik auf mich wirken zu lassen. Das ging einigermaßen, denn handwerklich hatten’s die Jungs drauf. Nur die Titelwahl! Da nuschelt der Typ was von „The Piano has been drunken – not me“ ins Mikro und singt dann – „Am Abend mancher Tage“. Nicht dass ich was gegen Lift hätte, aber der Song passt zum Motto der Veranstaltung – „Lieder unterm Säufermond“ – wie die Bergpredigt in einen Poetry-Slam! Als dann noch „Solo Sunny“ folgte, wagte ich zu meinem linken Nachbarn die Bemerkung, ob ich aus Versehen auf’ner Ostalgiefete gelandet wäre – und bekam statt einer Antwort von rechts hinten zugezischt, ich möge doch draußen eine rauchen gehen. Na klasse, der selbsternannte Sheriff war also auch da! Ob das eigentlich nur Deutsche fertig kriegen, aus der Musik der Baumwollpflücker und Minenarbeiter ein Kammerkonzert zu machen – also ick weeß nich… |
Eine (Un-)Erreichbare? |
Meine Ex hätte das sicher abstrakt gefunden –
die Kleene findet ja immer alles abstrakt, selbst das Konkrete. Zwei fickende
Hunde etwa – ich kenne nur wenig, was konkreter wäre. Ein besoffener
Penner vielleicht. Vor Jahren hätte man im Prenz’l-Berg noch
beides als Zugabe zum Blues bekommen, und der wäre ne Art Jamsession
gewesen mit Leuten, mit denen man vorher und hinterher gezecht hätte.
Heute toben sich an Kollwitz- und Helmholtzplatz die ernsthafter gewordenen
Überreste der Spaßgeneration aus, während die überlebende
Bohème von einst in die Randbezirke emigriert und dort an der eigenen
Vergreisung arbeitet. In Pankow etwa – gleich um die Ecke vom Schloss
Schönhausen. Da verdämmerte ja auch der einzige DDR-Präsident
schon seine Amtszeit. Die Gegend scheint also gut gewählt und ich bin
heute hier. Also konkret im „Garbaty“, um Bukowski auf mich
warten zu lassen oder so… Inzwischen ist die Band etwas mehr in Fahrt gekommen, was vielleicht daran liegt, dass der Sänger seiner höherprozentigen Deko etwas intensiver zuspricht. Die Songs handeln jetzt auf einmal glaubhaft von verlorener Liebe und Suff – und lenken meine Gedanken zwanghaft auf zwei grüne Augen, in denen man wunderbar ertrinken konnte. – Vorbei! |
Ich bezähme den aufwallenden Wunsch, die sich ausbreitende ziellose Sehnsucht in Absinth zu ersäufen oder, mit der grünen Fee tanzend, auf etwas konkret Erreichbares zu richten. Stattdessen drehe ich einer konkret Erreichbaren und mir je eine Zigarette und wir rauchen schweigend in die Betrachtung des Mondes vertieft. Vielleicht ist Blues ja nur das konkrete Gefühl, Durst zu haben und den Kellner fern zu wissen? Vielleicht sind Bukowski und Waits lediglich abstrakte Dekorationen auf dem Weg zu einer verwandten Seele? – Ist grüner Schnaps dann eigentlich konkreter als grüner Tee? Und beides abstrakter als grüne Augen? Oder umgekehrt? Ich schnippe die aufgerauchte Fluppe in den Liguster und gehe. Abstrakter Blues und konkrete Getränke machen ganz schön müde… |