11.11.2010: Das besondere Datum - 11. November

Dass ich als nach Preußen assimilierter Thüringer jeglichem Pappnasentum abhold bin, versteht sich ja von selbst. Somit bin ich Konvertit und die sind ja bekanntermaßen immer erheblich fundamentalistischer drauf als die Eingeborenen. So sollte es auch kaum verwundern, wenn ich den heutigen Beginn der so genannten „fünften Jahreszeit“ konsequent ignoriere und mich lieber weniger ernsten Themen als der organisierten Lustigkeit zuwende. Immerhin endete ja am 11. November 1480 im so bezeichneten „Großen Gegenüberstehen“ der Heere Russlands und der mongolischen Goldenen Horde die Oberherrschaft letzterer über die damals noch unter dem Namen Moskowiter bekannte osteuropäische Völkerschaft.
Soviel zum Beginn der "5. Jahreszeit"...

Da ebenfalls an einem 11. November im Jahre 1606 der als „Langer Türkenkrieg“ bekannte Konflikt beendet wurde, im Verlaufe dessen sich der römisch-deutsche Kaiser von jahrzehntelanger Tributpflicht der „Goldenen Pforte“ gegenüber befreien konnte, kann man dieses Datum durchaus als Markstein der Emanzipation Europas von Asien bezeichnen. Neo-Kreuzritter und andere Kulturkämpfer wird’s sicher freuen...


Man beachte in dem Zusammenhang, dass nur für die nordwestlichen Randgebiete bei Magdeburg die Bezeichnung "Sachsen" historisch korrekt ist...
Doch auch in den engeren deutschen Grenzen tat sich Bedeutendes, wurde doch mit der am 11.11.1485 beschlossenen „Leipziger Teilung“ des Wettinischen Kurfürstentums Sachsen der Prozess der Wiedergeburt meiner eigentlichen Heimat Thüringen eingeleitet. Zwar sollte es noch bis weit ins 20. Jahrhundert dauern, bis der geografische Begriff Thüringen auch wieder zum Landesnamen des Territoriums zwischen Harz und Werra werden würde, doch sind ja meine Landsleute nicht zu Unrecht als äußerst störrisch verschrien.
So gelang es einigen zänkischen Bergdörfern und Landstädtchen Jahrhunderte lang erfolgreich, sich der sächsischen Einvernahme zu widersetzen, meiner Geburtsstadt Arnstadt etwa. Im Gegensatz zu bedeutenderen Metropolen (nach Thüringer Maßstäben) wie etwa Erfurt, Weimar, Gotha oder Eisenach wurden wir nämlich nie von Pappnasen aus Mainz, Strahlemännern aus Dresden oder Säbelrasslern aus Berlin direkt regiert, sondern durchgängig immer von Krautjunkern aus der engeren Umgebung unterdrückt. Darauf sind wir „Arnschter“ natürlich tierisch stolz!

Uns Günthi...
Richtig Höhe bekommen wir aber erst, sollte die Rede zufällig auf den seinerzeit für unsere Stadt unterdrückungstechnisch zuständigen Grafen Günther XXI. von Schwarzburg kommen: Dieser talentierte Ausbeuter hatte es nämlich im Jahre 1349 sogar geschafft, für ein paar Monate zum deutschen (Gegen-) König gewählt zu werden. Ihm war damit etwas gelungen, was den Wettinern nie und den Hohenzollern erst 1871 glücken sollte, nämlich deutsches Staatsoberhaupt zu werden. Als Mainzer Landesfürst war ohnehin bestenfalls Regierungschef drin – im Mittelalter war das sogar verfassungsrechtlich („Goldene Bulle“) so festgelegt worden: Reichskanzler (genauer: Erzkanzler für Deutschland) ist immer der Kurfürst von Mainz!

Glücklicherweise wurde das in der Bundesrepublik anders geregelt, ansonsten wäre die einzige rechtmäßige deutsche Regierung seit 1949 die von Helmut Kohl gewesen, während alle Kanzler vor und nach ihm durch Staatsstreiche an die Macht gekommen wären. Bedenkt man weiter, dass derzeit laut „Goldener Bulle“ eigentlich Kurt Beck Deutschland regieren müsste, weiß sicher jeder, wie weise die Väter des Grundgesetzes gewesen sein müssen...
Karl IV. von Luxemburg hatte 1356 mit seiner „Goldenen Bulle“ freilich ganz andere Dinge im Sinn, als einen Erbhof für irgendwelche Pfälzer Saumagenvertilger zu schaffen. Gemeinhin wird ja immer behauptet, die Regelungen in besagtem Vertragswerk hätten einzig dazu gedient, die sieben seinerzeit bedeutendsten deutschen Reichsfürsten quasi zu bestechen, Karls leicht missratenen Sohn Wenzel zum deutschen Thronfolger zu „küren“ – weshalb diese „Big Seven“ auch künftig Kurfürsten geschimpft wurden.
Doch weit gefehlt! Karl war anscheinend hellsichtig veranlagt und ahnte wohl, dass sein Filius zum pflichtvergessensten deutschen Herrscher des ausgehenden Mittelalters avancieren würde. Wenzel war ja bekanntlich selbst zu faul, sich mal ernsthaft um seine eigene Kaiserkrönung zu bemühen und musste dann zur Strafe auch das geschichtliche erste erfolgreiche Amtsenthebungsverfahren gegen ein deutsches Staatsoberhaupt über sich ergehen lassen.
Der alte Herr wollte scheinbar nur sicherstellen, dass während Wenzel seinen Rausch ausschlief, jemand die Amtsgeschäfte weiterführte, der wenigstens das Lesen und Schreiben beherrschte und seinerzeit konnte man nur bei Klerikern davon mit Sicherheit ausgehen.

Karl IV. im Kreise der Reichsregierung Anno 1356: Links oben der Erzkanzler und Kurfürst von Mainz (Fahne mit Rad-Wappen) als Regierungschef, recht u.a. der Kurfürst von Sachsen, seines Zeichens Erzmarschall (Verteidigungsminister)
Im Jahre 1356 hatte halt gerade der Mainzer Erzbischof deutschandweit die leserlichste Schrift und folglich wurde der auch Kanzler. So einfach ist das ! Dass es in Mainz mal einen Kohl oder gar einen Beck geben würde – so hellsichtig war Karl IV. denn doch nicht...

Doch zurück zum sich heute zum 625. Mal jährenden Leipziger Vertrag. Warum ist der dann so bedeutsam? Ganz einfach: Für Sachsen hatte er in etwa die gleiche Bedeutung wie der Einigungsvertrag 1990 für die Bundesrepublik Deutschland, nur umgekehrt. Während nämlich die BRD 1990 unbestritten größer wurde, erreichte das Wettinische Kurfürstentum nach 1485 bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 nie wieder die Größe, die es zu Vertragsabschluß hatte!

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen...
Damit stellte der später kurz als „Leipziger Teilung“ bekannt gewordene Vorgang den ersten dauerhaften Rückschlag im bis dato scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Wettiner im mitteldeutschen Raum dar. Erinnern wir uns: Um die Jahrtausendwende waren die Wettiner Grafen noch ein Geschlecht adliger Strauchdiebe und Wegelagerer aus der Umgebung von Halle/S. und hatten damit dort in etwa dieselbe Funktion inne, wie zeitgleich die Grafen von Schwarzburg in den Gebirgstälern zwischen Arnstadt und Rudolstadt.
Nachdem die Wettiner Ende des 11. Jahrhunderts zu Markgrafen von Meißen erhoben wurden, entwickelten sie sich bald zu den erfolgreichsten Erbschleichern Mitteldeutschlands und kamen so der Reihe nach in den Besitz der Ländereien der Grafen von Landsberg, Groitzsch und Brehna sowie der Landgrafen von Thüringen und beerbten schließlich 1423 als krönenden Abschluss die mächtigen Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg in Amt und Würden. Zugleich ergatterten sie natürlich auch deren Territorien. Ihr Machtbereich erstreckte sich jetzt, nicht überall zusammenhängend, von Eisenach im Westen bis zur Oberlausitz im Osten sowie von etwa Fürstenwalde bei Berlin im Norden bis zur böhmischen Grenze im Süden.

Mit dieser ungehemmten Ausdehnung war nun, Ende des 15. Jahrhunderts, Schluss. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo die Wettiner endlich so weit waren, einen eigenen Kandidaten zur Königswahl aufzustellen! Dumm gelaufen eigentlich!
Unter’m Strich blieb, dass alle in der Folge entstehenden Wettinischen Teilstaaten, von denen etliche in Thüringen lagen, fieserweise irgendwie Sachsen hießen, wobei etwa die Regel galt, je länger der Landesname desto winziger dessen Territorium. Exemplarisch hier die verblichene Weltmacht „Sachsen-Coburg und Gotha“, deren Hoheitsbereich richtig in etwa die heutigen Landkreise Gotha und Coburg in Thüringen bzw. Oberfranken umfasste. „Wieso jetzt gleich Weltmacht?“, werden da sicher manche fragen. Ganz einfach, weil „Sachsen-Coburg und Gotha“ die vielleicht etwas schwer nachvollziehbare deutsche Übersetzung für das seit Queen Victoria die britische Monarchie repräsentierende Königshaus Windsor ist!
Sachsen-Coburg und Gotha (grün) auf dem Flickenteppich Thüringens im 19. Jahrhundert. Die anderen Thüringer Duodezstaaten sind grau dargestellt, weiß die Gebiete größerer Nachbarn (Preußen, Sachsen, Hessen)
Na gut, mit neumodischen Übersetzungsregeln hatte die 1917 erfolgte Umbenennung der britischen Dynastie auch weniger zu tun, eher schon mit Politischer Korrektheit. Während des ersten Weltkriegs tobte im Vereinigten Königreich nämlich eine innenpolitische Debatte, ob der Krieg gegen Deutschland wohl gut ausgehen könne, wo man doch sogar einen „deutschen“ König hatte. Vielleicht glaubten andersrum ja auch die Deutschen selbst, Georg V. von Großbritannien und Irland würde willens und in der Lage sein, die britische Kriegführung im deutschen Sinne zu sabotieren. Der um seinen Arbeitsplatz besorgte Monarch beendete jedoch die Spekulationen um seine vaterländische Gesinnung, indem er kurzerhand von einem Tag auf den andern den Namen seines Lieblingswohnsitzes – Schloss Windsor nämlich – zu dem seines Familienzweiges machte und galt fortan wieder als guter Brite. So einfach ist das!

Das ist der Beweis: Das heutige Sachsen ist nüscht wie die frühere Thüringer Ostmark! Und die Ostmark war ja bekanntlich ooch nüscht wert ;)

Für uns Thüringer war dagegen alles viel schwieriger! Die unverschuldet mit einem neuen Landesherrn eingefangene und weder politisch noch anderswie korrekte Typenbezeichnung „Sachse“ klebt seither wie Pech und Schwefel an uns. Klar, dass jedem wahren Thüringer die Bratwurst vom Grill springt, wenn er dauernd schmählicherweise für einen derartigen Dünnkaffetrinker gehalten wird! Ohne uns als Kolonisatoren wären die Flitzpiepen doch ewig Sorben geblieben, ganz abgesehen davon, dass selbst sie ihren Namen auch nur dem feudalen Erbrecht verdanken!
Immerhin war aber schon deutlich geworden, dass es erst einer Lockerung der Wettinischen Landesherrschaft in Thüringen bedurfte, wenn dieses wieder mehr bedeuten sollte als nur den Namen der westlichen sächsischen Grenzprovinzen zu Hessen. Dankenswerterweise wurden die diesbezüglichen historischen Wandlungsprozesse am 11. November 1485 in Gang gesetzt und schon am 1. Mai 1920 war der Freistaat Thüringen wieder bezugsfertig. Klar, dass ab da der Hund in der Pfanne der Goldlauterer Gourmetköche (Goldlauter: früherer Nachbarort von Suhl mit sprichwörtlicher Hundeliebe der ansässigen Bevölkerung) richtig verrückt spielte...